Gesichtskontrolle.

„Vorgang abgebrochen! Abgelaufenes Dokument!“ erschien in der Anzeige meiner Authorisierungs-App. Vor lauter coronabedingtem Zuhause rum hocken hatte ich die Gültigkeit meines Personalausweises völlig übersehen.

Jedoch woher ein aktuelles biometrisches Foto bekommen in Zeiten des Lockdowns. Mir drohte der wahre Endgegner: ein Fotofix-Automat.

Mir graute bereits vorab vor den üblichen Automatenfotos, die dann in den nächsten 10 Jahren immer mal wieder kichernd rausgeholt werden … müssen. Aber ich war auch irgendwie stolz auf meinen bald ersten in Hamburg ausgestellten Personalausweis. Nichts überklebt. Nichts geändert. Original Hamburg eben! Ahoi.

Montag. Direkt beim Bürgeramt rein in den Fotoautomaten. Stuhl nach unten drehen. 6 Euro rein. Erklärungsvideo ansehen. Ohne Ton. Ohne Sinn. Ohne Verstand. „Sind Sie bereit?“ – „Ja!“ Zack! Bild. Aiii … ähm, nein. Wiederholen. „Ja!“ Zack! Bild. Ich sehe aus wie auf Drogen, die ich nie nahm. Noch mal. „Jaaahhha! Zack! Bild.“ Ist das die Realität? Schießt es mir irritiert durch den Kopf? Egal, weiter! „Ja!“ Zack! Bild. Boah, es wird nicht besser. Wiederholen? Nein!

Die Sachbearbeiterin scheint freundlich. Ich lege meinen abgelaufenen Perso und meine Fotos vor. Sie sieht sich diese an, sieht mich an, sieht die Fotos an, sieht mich an. Ihr Blick ist kritisch. „Nehmen Sie mal die Brille ab … und Ihre FFP2-Maske.“ Ich folge verunsichert ihren Anweisungen. „Das sieht ja aus, als hätten Sie richtig schwarze Balken unter den Augen. Sie wissen, dass man so nicht aussehen muss?“ platzt es lachend aus ihr heraus. Ich erstarre, verkrampfe und wappne mich für … für was eigentlich. „Bitte?“ entgegne ich nun mehr als irritiert. „Da kann man was dagegen machen!“ feixt sie hinter ihrer Plexiglasscheibe. „Da kann man sich Hyaluron unterspritzen lassen.“

„Aber ich möchte das nicht.“ sage ich sehr irritiert von dieser Situation. Sie hört nicht auf und sagt „So könnte man ja denken, dass Sie richtig krank sind. Das muss ja nicht sein.“ Ich bin fassungslos und ringe nach Worten. Woher weiß sie, dass ich nicht wirklich schwer krank bin? Schließlich verliert man nicht bei jeder schweren Krankheit seine Haare. „Wissen Sie mich persönlich stören meine Augenringe nicht und für mich ist es okay!“ sage ich als klares Bekenntnis zu meinem vom Leben gemachten Aussehen.

Ihre Übergriffigkeit stört mich jedoch sehr und ich vergewissere mich, nicht vielleicht doch einen Termin in einer Beautyklinik statt beim Hamburger Bürgeramt gebucht zu haben. In meiner Verzweiflung drehe ich mich im Raum um und frage die Sachbearbeiterin, wo denn ihre Kolleginnen wären? Mittagspause.

Sie erzählt mir weiter davon, dass sie in der vergangenen Woche 5 Minuten den Bachelor geguckt hat und dass doch da alle Mädchen gleich operiert aussehen. Das gefällt ihr nicht. Mein natürliches Ich aber leider auch nicht.

Ich sammle mich und frage sie direkt, ob es nicht genau diese Vergleiche untereinander sind, die aus diesen jungen Mädchen komplett gleichaussehende und optisch künstliche Wesen machen? Ich strecke meine Schultern durch, wie einst Kamala Harris kurz vor ihrer Vereidigung und sage bestimmt: „Wissen Sie, ich werde geliebt wie ich bin, mich hat noch nie jemand darauf angesprochen und abgesehen davon, es stört MICH nicht, denn sonst würde ich ja selbst aktiv auf die Idee kommen, etwas ändern zu wollen!“ Und dann besitzt diese Dame doch tatsächlich die Frechheit zu sagen, dass es nicht darum gehen würde, sondern dass ich einfach doch noch ein bisschen besser, frischer und jünger damit aussehen könnte.

Ich bin traurig und ja auch verletzt. Und ich konfrontiere sie noch ein letztes Mal damit. „Wissen Sie, ich bekomme jetzt von Ihnen ein neues Dokument für die nächsten 10 Jahre, bei dem ich jedes Mal, wenn ich es in der Hand halte an unser Gespräch erinnert werde.“ – „Oh, jetzt bin ich wohl in ein großes Fettnäpfchen getreten?“ stellt sie weiterhin despektierlich lachend fest. „Aber wissen Sie, man muss den Ausweis ja Gott sei dank nicht sooft rausholen!“ lebt sie weiter ihre gewählte Art der Kundenbetreuung.

Erst als sie meine aktuelle Größe abfragt und sagt: „Ich bin neidisch auf Ihre Größe!“ verstehe ich, um was es in diesem Gespräch wirklich ging. Nicht um meinen seit 4 Wochen abgelaufenen Personalausweis, nicht um eigentlich unzumutbare Fotos aus einem Fotofix-Automaten, sondern um das geglaubte Schönheitsideal einer einzelnen Sachbearbeiterin, die für sich den offensichtlich richtigen Weg im Umgang mit ihrem Körper gefunden hat und glaubt, dies wäre auch der richtige Weg für jede andere Frau auf dieser Welt. Naja, oder zumindest in Hamburg.

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